Das „ego­is­ti­sche Gehirn“

Krokodil

Ursa­chen von Über­ge­wicht (Fol­ge 10 von 14)

Wer fal­sche Fra­gen stellt, kann kei­ne rich­ti­gen Ant­wor­ten bekom­men. Dies gilt auch bei drän­gen­den gesund­heit­li­chen Mensch­heits­pro­ble­me wie Über­ge­wicht oder Zucker­krank­heit. Die Theo­rie vom „ego­is­ti­schen Gehirn“ soll dies ändern. Und uns damit in die Lage ver­set­zen, die­se Pro­ble­me auch zu lösen. Ob dies gelingt, wird die Zukunft zei­gen.

Das grö­ßen­mä­ßig recht klei­ne Gehirn benö­tigt für sei­ne Ver­sor­gung sehr viel Ener­gie, vor allem Zucker und ande­re Koh­len­hy­dra­te. Und es ist über­le­bens­not­wen­dig dar­auf ange­wie­sen, dass der rest­li­che Kör­per die­se Ener­gie kon­ti­nu­ier­lich und ver­läss­lich nach­lie­fert. Hier­für, so die Theo­rie vom ego­is­ti­schen Gehirn, kann das Organ in unse­rem Schä­del tief in die Ener­gie­steue­rung des gesam­ten Kör­pers ein­grei­fen, Hun­ger­ge­füh­le aus­lö­sen, Zucker­syn­the­se ankur­beln, Fett-Auf- und Abbau ver­an­las­sen oder Hor­mo­ne aus­schüt­ten, die den Zucker- oder Fett-Stoff­wech­sel grund­sätz­lich steu­ern. Mit einer Viel­zahl von Sen­so­ren in Kör­per und Gehirn wird das Gan­ze stän­dig über­wacht und auf opti­ma­le Zucker-Lie­fe­rung ans Gehirn getrimmt. Zur Steue­rung die­ser Ener­gie-Lie­fer­ket­te in Rich­tung Gehirn wird ein Sys­tem genutzt, das der Kör­per auch in Stress­si­tua­tio­nen ein­setzt, um unse­re Leis­tungs­fä­hig­keit zu erhal­ten und genü­gend Ener­gie für die ver­än­der­ten Auf­ga­ben zur Ver­fü­gung zu stel­len (zum Bei­spiel kom­ple­xe Flucht­re­ak­tio­nen nach Raub­tier-Angrif­fen).

Über­ge­wicht durch Stress-Über­las­tung

Fuchs

Solan­ge die Fähig­keit auf Stress ange­mes­sen zu reagie­ren unge­stört ist, funk­tio­niert dies gut. Ist die Stress-Reak­ti­vi­tät jedoch ver­rin­gert, muss der Kör­per sehr viel mehr ener­gie­rei­che Nah­rung auf­neh­men, um dem Gehirn aus­rei­chend Zucker lie­fern zu kön­nen. Die dabei über­schüs­sig in den Kör­per gelang­ten Kalo­rien wer­den zum Teil im Fett­ge­we­be abge­la­gert (und füh­ren zu Stoff­wech­sel-Stö­run­gen). Die Theo­rie besagt wei­ter, dass die­se Ver­min­de­rung der Stress-Reak­ti­vi­tät vor allem durch extre­me äuße­re und inne­re Stress-Belas­tun­gen ein­tritt (Lärm, Burn-Out, Trau­er­fall, Sor­gen, Ängs­te und so wei­ter). Die Zahl der Stress­quel­len und die von ihnen aus­ge­hen­den Belas­tun­gen in der moder­nen Zivi­li­sa­ti­on geht Hand in Hand mit der welt­weit zu beob­ach­ten­den Über­ge­wichts-Epi­de­mie.

Die Lösungs­vor­schlä­ge fol­gen unmit­tel­bar aus die­ser Theo­rie des ego­is­ti­schen Gehirns: Abbau von Stress­be­las­tun­gen (Kri­mi­na­li­tät, Arbeits­lo­sig­keit, Ver­kehrs­lärm, öko­no­mi­sche Unsi­cher­heit, und so wei­ter) und Stei­ge­rung der indi­vi­du­el­len Fähig­keit, durch Selbst­er­fah­rung mit Stress ange­mes­se­ner umzu­ge­hen.

Kom­men­tar Die in Deutsch­land ent­wi­ckel­te Theo­rie des ego­is­ti­schen Gehirns („sel­fi­sh brain theo­ry“) hat deut­li­che Ähn­lich­kei­ten mit der Theo­rie, dass Über­ge­wicht durch eine chro­nisch gestör­te bak­te­ri­el­le Darm­flo­ra (→ Bak­te­ri­en im Darm) zu ent­steht. In bei­den Fäl­len kon­kur­rie­ren zwei Organ­sys­te­me (Gehirn ~ Kör­per) bezie­hungs­wei­se Funk­ti­ons­krei­se (Mikro­bi­om des Darms ~ Kör­per) um Nah­rungs­res­sour­cen. Und ver­än­dern lang­fris­tig den Ener­gie­stoff­wech­sel, um wei­ter mit Nähr­stof­fen (Ener­­gie-Sub­­s­tra­­te) ver­sorgt zu wer­den. Bei­de Theo­rien stel­len auch fest, dass das Auf­tre­ten von Über­ge­wicht ein chro­ni­scher Pro­zess ist, der am bes­ten durch Vor­beu­gung oder frü­he Inter­ven­ti­on gestoppt wird. Schließ­lich behaup­ten bei­de Theo­rien, dass der Aus­gangs­punkt der Über­­­ge­­wichts-Ent­­wick­­lung eine „Trau­ma­ti­sie­rung“ ist, eine Schä­di­gung, ein chro­nisch gesund­heits­schäd­li­cher Ein­fluss (z. B. Dau­er-Stress ~ z. B. Anti­­bio­­­ti­­ka-The­ra­pie, die einen Teil der Darm­flo­ra abster­ben lässt).

Aus Sicht des Inter­­vall-Fas­­tens, einer wirk­sa­men, neben­wir­kungs­frei­en Metho­de lang­fris­ti­ger Gewichts­kon­trol­le (? Ein­füh­rung), ist frag­lich, ob die bis­lang von Ver­tre­tern der Theo­rie des ego­is­ti­schen Gehirns vor­ge­leg­ten Lösungs­vor­schlä­ge tat­säch­lich funk­tio­nie­ren. Ein Haupt­ein­wand ist, dass die Annah­me von hohen und krank­ma­chen­den Stress-Belas­­tun­­gen in der moder­nen Zivi­li­sa­ti­on falsch ist. Viel­mehr ist näm­lich anzu­neh­men, dass unse­re Vor­fah­ren viel exis­ten­ti­el­le­ren Dau­er-Bedro­hun­­gen und ‑Belas­tun­gen in ihrem Leben unter­la­gen heu­te (und des­halb auch eine deut­lich ver­rin­ger­te Lebens­er­war­tung hat­ten).

Autor
• Rai­ner H. Buben­zer, Gesund­heits­be­ra­ter, Ber­lin, 29. Sep­tem­ber 2014.
Bild­nach­weis
• Corel Gal­lery, 1999 (Corel Corporation/Koch).
• Corel Gal­lery, 1999 (Corel Corporation/Koch).